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Dr. Franziska Nentwig

„Mit einer Sammlung muss man aktiv arbeiten – dann kann sie einem Musikinstrument gleich stets neue Töne erzeugen.“

November 2018

Dr. Franziska Nentwig

Geschäftsführerin Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V.

Der Kulturkreis ist eine Institution, in der kulturfördernde Unternehmen versammelt sind. Welche Vorteile hat eine Mitgliedschaft?

Der Kulturkreis ist seit seiner Gründung 1951 ein einzigartiges Forum für Kunst- und Kulturinteressierte aus der Wirtschaft. Eine Mitgliedschaft führt Gleichgesinnte zusammen, die sich als Akteure mit Gestaltungswillen auf dem Feld der privaten Kulturförderung sehen. Wir vernetzen unsere aktuell rund 400 Mitglieder und ermöglichen einen branchenübergreifenden Austausch zu Formen, Zielen und Rahmenbedingungen der unternehmerischen Kulturförderung. Wir beziehen dabei alle Formen des Engagements ein: vom Sponsoring, dem Corporate Volunteering, eigenen Kulturangeboten, vielfältigen Formen der Public Private Partnerships bis hin zum Mäzenatentum. Wer mag, kann sich dabei aktiv in den Förderbereichen Architektur, Bildende Kunst, Literatur und Musik sowie den Arbeitskreisen Kulturförderung, Corporate Collecting und Kulturelle Bildung engagieren.

Unternehmerische Kulturförderung, die rein mäzenatisch ist, wird gerne gesehen. Das klassische Kultursponsoring, das auf „Geben und Nehmen“ angelegt ist, wird hingegen nach wie vor häufiger kritisiert („Wirtschaft instrumentalisiert Kultur“). Was sagen Sie dazu?

Der Löwenanteil der Mittel für Kultur wird zwar durch die öffentliche Hand erbracht, es wird jedoch zunehmend deutlich, dass viele Kunstschaffende und Kulturinstitutionen ihre Projekte nicht oder zumindest nicht in der gewünschten Form ohne die tätige Mithilfe aus der Wirtschaft realisieren können. Unternehmerisches Kulturengagement ist heute ein ganz wichtiger gesellschaftlicher Faktor, ohne den unser Kulturleben längst nicht so lebendig und reichhaltig wäre.

Ist die Quelle von Finanzierung und Förderung eigentlich so entscheidend?

Fakt ist: Früher ging es nicht ohne Könige, Fürsten, Kirche und reiche Bürger, die sich mit Kunst umgaben und Künstler förderten, und auch heute können Künstler nicht ohne Geld, Aufträge, Unterstützung und Wertschätzung leben. Sie brauchen nicht nur ein Publikum, sondern natürlich auch Auftraggeber, Käufer und Unterstützer. Das sind heute etwa öffentliche Museen, Theater, Orchester – und eben auch Sponsoren oder Mäzene aus der Wirtschaft. Letztere haben wie wir alle das Recht, sich in Kunst und Kultur einzubringen. Es ist für Kunst und Kultur doch nur gut, wenn sie aus vielen Quellen gefördert wird.

Welche Relevanz hat Kultursponsoring heute noch?

Beim Sponsoring verfolgen beide Partner bestimmte Ziele und wollen jeweils positive Impulse für ihre Arbeit erhalten. Die Kultur braucht das Geld, die Sponsoren versprechen sich in der Regel einen positiven Push für das Firmenimage, die Marke, die Kundenbindung, im besten Fall auch die zusätzliche Motivation von Mitarbeitern und Impulse für die Unternehmenskultur. Das sind für alle Seiten legitime Ziele. Das für uns alle dabei Erfreuliche ist: Die Allgemeinheit profitiert davon – durch kulturelle Veranstaltungen, die unseren Horizont erweitern. Schwierig wird es jedoch dann, wenn die Spielregeln verletzt werden oder Sponsor und Gesponserter inhaltlich nicht schlüssig zueinander passen. In Einzelfällen findet das dann nicht den ungeteilten Beifall der Öffentlichkeit.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Beispielhaft möchte ich die Kontroverse um den italienischen Waffenhersteller Beretta nennen. Die Eigner-Familie hatte dem Künstler Christo 2016 für sein Projekt „Floating Peers“ ihre Privatinsel im Iseo-See zur Verfügung gestellt. Durch die Öffentlichkeit wurde moralisch die Quelle des Reichtums des Unternehmens beanstandet. Ohne Beretta wäre aber dieses weltweit Aufsehen erregende Kunstprojekt nicht möglich gewesen. Was also in solchen Fällen tun? Auch der Internationale Museumsverband ICOM kann als Rat für Kunst- und Kulturinstitutionen nur diffuse Anhaltspunkte bieten: „Bei der Suche nach finanzieller Unterstützung für Tätigkeiten, von denen eine bestehende Gemeinschaft betroffen ist, sollte nicht gegen deren Interessen gehandelt werden.“

Was raten Sie den Beteiligten?

Es muss mit Bedacht von beiden Seiten geprüft werden, ob man miteinander arbeiten möchte. Potentielle Partner aus Kultur und Wirtschaft stehen daher am Beginn einer möglichen Zusammenarbeit immer vor der Herausforderung, sich ehrlich über ihre gegenseitigen Erwartungen im Klaren zu werden. Aber ich kann nur dafür plädieren, dass hier beide Seiten mutig sind und Neues wagen. Kunst- und Kulturvorhaben sind per se immer Experimente mit offenem Ausgang und auch die Beteiligung als Förderer verlangt Risikobereitschaft.

Wer sollte den ersten Schritt machen?

Heute sind es erfreulicherweise oft Kultureinrichtungen oder Künstler, die von sich aus Wege zu Unternehmen oder Unternehmerpersönlichkeiten suchen, um Kooperationen und Projekte anzubieten. Voraussetzung ist dabei immer, dass die künstlerische Eigenständigkeit respektiert wird. Vice versa müssen aber auch die Kunst- und Kulturschaffenden gerade beim klassischen Projektsponsoring wahrnehmen, dass ein Unternehmen oder eine Privatperson bestimmte Überlegungen und Zielsetzungen mit ihrer Unterstützung verbindet.

Wie können sich Kultur und Wirtschaft noch stärker annähern?

Es geht nicht um Nähe oder Ferne. Beide sind ohnehin unauflöslich miteinander verwoben: Für Künstler wie Unternehmer sind die wichtigsten Ressourcen Kreativität, Offenheit und der Mut, etwas zu wagen und Dinge voranzubringen. Kultur und Wirtschaft können daher auch voneinander lernen. Genau hier agiert übrigens der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft mit eigenen Projekten, beispielsweise mit seinen Programmen zur Schulung kultureller Kompetenzen zukünftiger Führungskräfte in der Wirtschaft.

Welche Trends sehen Sie im Bereich Kulturförderung?

Um genau diesen Fragen nachzugehen, arbeitet der Kulturkreis in Kooperation mit dem Institut für Kultur und Medienwirtschaft (IKMW) gerade an einer Studie zur unternehmerischen Kulturförderung. Diese soll Anfang 2019 veröffentlicht werden. Eine Entwicklung, die wir beobachten, ist beispielsweise die wachsende Verknüpfung von kulturellen mit sozialen Anliegen. Ein Beispiel dafür liefert etwa die KRATZER AUTOMATION AG aus Unterschleißheim, die sich für Anerkennung künstlerischer Leistungen von Menschen mit Behinderung engagiert und dafür 2017 den Deutschen Kulturförderpreis gewonnen hat. Andere wiederum bemühen sich darum, Menschen aus allen sozialen Schichten den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen oder unterstützen die Integration von Flüchtlingen über kulturelle Angebote.

Beim Kulturkreis gibt es auch einen eigenen Arbeitskreis zum Thema „Corporate Collecting“: Worin liegt der Reiz für ein Unternehmen, eine Sammlung aufzubauen und zu unterhalten?

Mich beeindruckt gerade in unserem Arbeitskreis Corporate Collecting – er vereint knapp 40 kunstsammelnde Unternehmen vom Mittelstand bis zum global agierenden Konzern – immer wieder die große Fachkunde und Ernsthaftigkeit im Umgang mit den jeweiligen Sammlungen sowie die Vielfalt der Sammlungskonzepte. Es ist keinesfalls so, dass die Impulse, die eine Sammlung nach innen in ein Unternehmen oder nach außen in die Gesellschaft geben kann, allein durch ihre Größe und den materiellen Wert ihrer Objekte bestimmt werden. Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit Kunstwerken kann uns aus unserer „Komfortzone“ holen und einen Freiraum ermöglichen, in dem wir diskutieren, nachdenken, erforschen, hinterfragen, emotional bewegt werden und agieren können. Das ist keine Frage des Budgets, sondern macht für mich den eigentlichen Reiz der Kunst aus.

Unternehmen mit Sammlungen beschwören gerne die positive Wirkung der Kunst nach innen. Nicht immer wird das in der Praxis so eingelöst. Wie kann ein Unternehmen die Kunst im Hause zu einem echten Impulsgeber machen?

Es gibt keinen Königsweg zur Belebung einer Sammlung. Jedes Unternehmen muss hier selbst erfinderisch sein. Aber man kann immer von anderen Konzepten lernen. Meiner Meinung nach können Unternehmenssammlungen ihre Strahlkraft besonders erfolgreich nach innen und letztlich dann auch nach außen entfalten, wenn im Kreis der Mitarbeiter und der Geschäftsleitung ein Klima der Wertschätzung für die Sammlung und Interesse an ihr geschaffen werden kann. Wenn die Existenz der Sammlung in den Köpfen nicht präsent ist, kann sie auch keine Wirkung entfalten. Ich persönlich empfinde die Präsentation von Firmensammlungen besonders spannend, wenn sie „atmet“, also immer wieder mit ihr gearbeitet wird und sie damit, einem Musikinstrument vergleichbar, stets neue „Töne“ erzeugen kann.

Welche Rolle spielt die Vermittlung?

Es erscheint mir wichtig, dass Angebote zur Interpretation des Gezeigten vermittelt werden. Es ist egal, ob es sich dabei um Dauer- oder Sonderpräsentationen handelt. Beide bieten die Möglichkeit, etwas Ideelles gemeinsam zu erleben und miteinander ins Gespräch zu kommen. Das Besondere bei Kunst ist ja gerade: Gemeinsames „Sehen“ heißt nicht, dass alle das Gleiche wahrnehmen! Kunst geht vom Objekt aus, sie findet aber eigentlich im Kopf statt. Und jeder Kopf kann anders kreativ sein! Und darum geht es genau.

Nehmen Sie sich persönlich hin und wieder Zeit für Kunst und Kultur? Gibt es etwas, das Sie zuletzt besonders fasziniert hat?

Ich teile das Schicksal vieler für die Kunst und Kultur Verantwortlicher: Man hat das Glück, dass die Gedanken ohnehin den ganzen Tag lang um Kultur kreisen, und gleichzeitig das Pech, dass viel zu wenig Zeit für den eigenen Kunstgenuss bleibt. Ich habe im Geist eine Riesenliste von Ausstellungen, Theaterstücken und Konzerten, die ich gerne sehen, erleben und hören würde. Tatsächlich schaffe ich nur einen Bruchteil davon. Unverhofft spannend war für mich kürzlich der Besuch des 2016 eröffneten Museums Voorlinden in Den Haag, ein Haus, in dem privat gesammelte Kunst eines Unternehmers mit einer außergewöhnlichen Architektur und der umgebenden Natur eine ganz besondere Verbindung eingeht. Wirklich alle Gäste – ob klein, ob groß, alt oder jung – hatten ein Lächeln im Gesicht! Dass Kunst so etwas schaffen kann, fasziniert mich.

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